Das Projekt Eurolab: Darstellung
letzte Änderung: 2011-07-01
 

Die unterschiedlichen Forschungstraditionen haben ihren Grund in der Sache: In einigen Ländern wie in Frankreich, dann auch in Spanien beginnt der Ausbau der Volkssprache sehr früh und wird überwiegend zentral gesteuert, während in anderen wie Italien und Deutschland vielfältige, miteinander konkurrierende Ansätze zu beobachten sind, in unterschiedlichen Regionen, unterschiedlichen Zentren, unterschiedlichen Disziplinen. Ein globaler Vergleich würde die bekannten Ergebnisse nur bestätigen. Das Projekt setzt daher eine Ebene tiefer an, an begrenzten Konstellationen, in denen an der jeweiligen Volkssprache gearbeitet wird. Bei näherem Zusehen ist global zwar das Verhältnis der bestimmenden Kräfte in den einzelnen Ländern verschieden, nicht jedoch das Zusammenwirken zentraler und dezentraler Tendenzen, das Nebeneinander unterschiedlicher Sprachen, das Experimentieren mit Lösungen, die nur zu einem Teil auf Dauer erfolgreich sind, ein Plurilinguismus, aus dem erst allmählich die heute bekannten Nationalsprachen hervortreten.

Was nämlich bislang nicht Gegenstand systematischer Forschungen war, sind die vielfältigen Austauschprozesse zwischen den Volkssprachen der Frühen Neuzeit, die Kontaktzonen, in denen sie erfolgen, und die Entwicklungen, die sie auslösen. Es genügt nämlich nicht, das Verhältnis der einzelnen Volkssprachen zur lateinischen Lingua franca zu analysieren, in der Erwartung, dass die Ergebnisse auf die übrigen Volkssprachen übertragbar seien, sondern auch die übrigen Austauschprozesse und wechselseitigen Beeinflussungen der Volkssprachen untereinander sind zu analysieren. Die vorgeschlagenen Forschungsprojekte haben deshalb allesamt ein trianguläres Verhältnis zum Gegenstand, das Verhältnis nämlich zwischen dem europaweit geltenden Latein, der im jeweiligen Land dominierenden Volkssprache und einer oder mehrerer diese beeinflussenden anderen Volkssprache, also z. B. das Verhältnis von Latein, Französisch und Italienisch am französischen Hof, das Verhältnis von Latein, Deutsch und Französisch an westdeutschen Fürstenhöfen, das Verhältnis von Latein, Toskanisch/Süditalienisch und Spanisch in Neapel usw. Hierbei handelt es sich jeweils um ganz besondere Konstellationen, die einer global angelegten Forschung in der Regel entgehen und noch niemals im Zusammenhang für das Werden des modernen Europa betrachtet worden sind.

Solche Konstellationen sind möglichst konkret zu erforschen, d. h. die den Antrag unterstützenden Forscherinnen und Forscher sind der Ansicht, dass nur in eng definierten sozialen, institutionellen und kulturellen Kontexten das skizzierte Problem erforscht werden kann. Diese Orte des Experimentierens mit Sprachen finden sich in Kontaktzonen zwischen verschiedenen Kulturen, in bestimmten Regionen, Institutionen oder Tätigkeitsfeldern. Die Metapher ‚Laboratorium‘ soll ausdrücken, dass an bestimmten Orten, an bestimmten Institutionen und in bestimmten Berufen (Handel, Militär) Menschen unterschiedlicher professioneller Ausbildung, unterschiedlichen Bildungsgrads und unterschiedlicher praktischer Interessen miteinander kommunizieren und durch Sprachkontakte und sonstige kulturelle Austauschprozesse etwas Neues entsteht. Gegenüber den bisherigen, vielfach teleologisch ausgerichteten Forschungen zur Entstehung der Nationalsprachen, die sich vor allem an geplanten und zentral gesteuerten Prozessen orientierten, interessieren uns deshalb auch ungeplante Prozesse. Wir gehen davon aus, dass die entstehenden Sprachen zu einem guten Teil Emergenzphänomene sind, d. h. durch das faktische Zusammenwirken unterschiedlicher Personen und Personengruppen zustande kommen und möglicherweise ebenso ungeplant auch wieder verschwinden können.


Als ‚Laboratorien‘, in denen dies geschieht, wollen wir uns auf drei Typen konzentrieren: Druckerwerkstätten als Orte des kulturellen Austauschs (mehrsprachige Programme, Bearbeitungen, Übersetzungen, fremdsprachige Drucke usw.), Höfe und städtische Metropolen als Orte sozialer Verdichtung und überregionaler Kommunikation, sowie berufsspezifische Netzwerke, die Sprecher unterschiedlicher Sprachen miteinander in Kontakt bringen und sich u. a. auch in bestimmten literarischen Werken verdichten können.

Als zeitlicher Rahmen sind die Jahre zwischen etwa 1480 und 1620 vorgesehen. Damit kommt der große geistesgeschichtliche und politische Umbruch am Beginn der Frühen Neuzeit in den Blick, der mit einschneidenden religiösen, politischen und sozialen Veränderungen verbunden ist und – 30 Jahre nach Erfindung des Drucks mit beweglichen Lettern – einen rapiden Medienwandel bewirkt. Der Endpunkt ist etwa mit dem Beginn des Dreißigjährigen Krieges gesetzt, der die europäischen Mächte gegeneinander in Stellung bringt, auf der einen Seite zwar neue Kulturkontakte, freilich anderen Typs, fördert, auf der anderen Seite aber zur entschiedenen Ausbildung und gegenseitigen Profilierung der europäischen Staaten führt.

Das Unternehmen gliedert sich in zwölf Kernprojekte, die von deutschen, französischen, schweizerischen und niederländischen Wissenschaftlern geleitet werden. Die Projekte sollen unter der Verantwortung des jeweiligen Projektleiters arbeiten, doch in regelmäßigen Abständen, mindestens zweimal im Jahr, in Arbeitsgesprächen ihre Ergebnisse austauschen und diskutieren. Gleichzeitig soll eine gemeinsame Bibliographie erarbeitet werden.

Laboratorium „Druckerwerkstätte“

Laboratorium „berufsspezifische Netzwerke“

Laboratorium „Zentren des Plurilinguismus (Höfe/Metropole)“

 Experimentieren und Hybridisierung der Volkssprachen


 Laboratorium „Druckerwerkstätte“

2. Workshop (21-22. Jan. 2011)

A.  DAS LABORATORIUM DRUCKEROFFIZIN IM DEUTSCHEN SÜDWESTEN (Jan-Dirk Müller/Sylvia Brockstieger/Jan Hon/Henrike Schaffert)
Les ateliers d'imprimeurs dans l'Allemagne du Sud-Ouest comme lieux d'élaboration des langues vernaculaires
Der deutsche Südwesten ist ein Grenz- und Kontaktraum in politischer, sprachlicher und konfessioneller Hinsicht. Die in den Städten Straßburg und Basel sowie in einigen kleineren Orten besonders zahlreichen Druckeroffizinen spiegeln in ihren Programmen diese Kontakte in Bearbeitungen, Übersetzungen, fremdsprachigen Drucken. Sie fungieren als ‚Laboratorien‘, in denen mit der Volkssprache experimentiert wird und die Volkssprache sich dem Einfluss anderer Sprachen öffnet. Hier wirken Verleger, Herausgeber, Übersetzer, Formenschneider, Illustratoren zusammen. Als Fallstudien sollen die Offizinen des Straßburgers Bernhard Jobin, Jakob Foillets in der Residenzstadt Mömpelgard und Nikolaus Brylingers in Basel untersucht werden, wobei sich um diese Druckereien jeweils auch ein Kreis von Literaten und / oder Künstlern gruppiert. Es geht darum zu zeigen, wie Fremdes ‚angeeignet‘, Divergentes ausgeglichen oder Konflikthaftes gegeneinander geführt und kulturelle Impulse aus unterschiedlichen Richtungen verhandelt werden. Das Projekt soll sich zum einen den einschlägigen Offizinen als ‚Kontaktzonen‘ widmen, zum anderen – analog zu den Projekten zur Militärsprache bzw. Kaufmannssprache – ein weiteres Beispiel der Ausbildung einer Fachsprache untersuchen, die sich nicht zentraler Planung, sondern dem Experimentieren mit verschiedenartigen praktischen Bedürfnissen verdankt. Das Projekt schließt an das Teilprojekt auctoritas und imitatio veterum des Münchener Sonderforschungsbereichs Pluralisierung und Autorität in der Frühen Neuzeit (15.-17. Jahrhundert) an.

Auswahlbibliographie

B. VOLKSSPRACHLICHE BIBELN DRUCKEN (Max Engammare)
Les casses vulgaires dans les officines d'imprimeurs de la Bible
Man kann die Zahl der volkssprachigen Bibelausgaben im Laufe des 16. Jahrhunderts auf etwa 2000 schätzen. Sie gehen auf zahlreiche Offizinen der berühmtesten Drucker zurück. Ihre Offizinen gehören zu den wichtigsten Laboratorien für eine Entwicklung der Volkssprache. Im Laufe des Jahrhunderts zeichnet sich hier eine Entwicklung ab, besonders bei der Übersetzung ins Französische, nämlich von der Arbeit eines Einzelnen zu Kollektivunternehmen. Manchmal geben die Vorworte Auskunft über die Forschungen, die vorausgingen, und die Diskussionen, an denen die Drucker beteiligt waren. So übten die mit Bibeldruck beschäftigten Offizinen einen entscheidenden Einfluss auf die Entstehung der Volkssprachen aus. Er soll am Beispiel einiger großer Drucker und ihrer Mitarbeiter untersucht werden. Aus pragmatischen Gründen sollen sich die Studien im Alten Testament auf das Buch Jonas, im Neuen auf den Jacobusbrief beschränken.

C. DRUCKEROFFIZINEN UND FACHSPRACHE: DEUTSCHE MUSIKLEHRSCHIFTEN UND IHRE DRUCKER (Inga Mai Groote)
Ateliers d'imprimeurs et langues techniques : les écrits sur la musique en allemand et leurs imprimeurs
Die Interaktion zwischen Autoren und Bearbeitern, Druckern und Verlegern, die an der Herausbildung eines deutschsprachigen Fachschrifttums über Musik beteiligt sind, soll konzentriert auf Drucker in drei Universitätsstädten (Basel, Wittenberg und Erfurt) untersucht werden. Volkssprachige Schriften zur Musik sind ein besonders lohnendes Untersuchungsfeld, weil hier anwendungsbezogenes, nicht-gelehrtes Wissen und die Tradition eines quadrivialen Faches mit ihren je unterschiedlichen Zuständigkeitsbereichen zusammentreffen. Damit interferieren in den Volkssprachen ausgebildete (und eher praxisbezogene) Terminologien und die lateinischsprachige Musiktheorie sowie verschiedene Kompetenzstufen. In den ‚Laboratorien‘ der mit der Publikation von Musikschriften befassten Druckereien lassen sich – unter Berücksichtigung allgemeinerer Aspekte der Sprachpolitik – Veränderungen in der Konzeption und Vermittlung musikalischen Wissens, die adressatenorientierte Herausbildung neuer Texttypen sowie die bislang wenig erforschten Publikationsstrategien für dieses Fachschrifttum beobachten.


 Laboratorium „berufsspezifische Netzwerke“

A. DIE SPRACHE DES MILITÄRS UND DIE EUROPÄISCHEN SPRACHEN DER RENAISSANCE (Marie Madeleine Fontaine/Jean Louis Fournel, ANR Guerres 16/17)
L'élaboration d'une langue vernaculaire spécialisée à la Renaissance : la langue militaire
Die Geschichte Europas in der Renaissance ist eine Kette von Kriegen in den verschiedensten Territorien. Alle Armeen rekrutieren sich aus den Völkern Europas. In Spanien, Frankreich, dem deutschen Reich und Italien stehen meiste Adlige oder Condottieri aus dem jeweiligen Land an der Spitze, die sich bei ihren Untergebenen verständlich machen müssen und deshalb eine Mischsprache sprechen, die sich bei sämtlichen Sprachen (Latein, beteiligten Volkssprachen) bedient. Solche Sondersprachen werden meist nur unter dem Gesichtspunkt untersucht, woher bestimmte Fremdwörter in einer Sprache stammen und wann sie erstmals auftreten, nicht aber als Stimuli sprachlicher Entwicklung insgesamt. Das Projekt konzentriert sich auf die Auseinandersetzungen zwischen Frankreich, Italien und anderen Ländern zwischen 1494 (Einfall Karls IIX. in Italien) und den 1550er Jahren (1555: Kapitulation von Montluc in Siena). Die Untersuchung konzentriert sich auf zwei Punkte: den Einfluss der Mischsprache auf die jeweilige Nationalsprache und die Herausbildung eines besonderen Fachwortschatzes (Technik, Strategie, soziale Organisation).

3. Workshop (8. Sept. 2011)

B. FACHSPRACHEN UND NEUZEITLICHER EMPIRISMUS (Cornel Zwierlein)
Langues spécialisées et empririsme
Latein war über Jahrhunderte hinweg die einzige autoritative Sprache in den Wissenschaften, Künsten und Techniken. Mit der Renaissance treten komplementär zum Latein, teilweise auch in Konkurrenz zu demselben im Bereich von Wirtschaft, Naturgeschichte, Recht, Musik und Politik neue Sprachregime auf. In diesen Bereichen kann man nämlich eine Autorisierung der vernakularen Fachsprachen feststellen. Die Arbeitshypothese für diesen workshop ist, dass diese Autorisierung des Vernakularen einhergeht mit einem größeren Prozess der Methodisierung der Empirie oder dessen Frucht ist, der in den Wissenschaften und Künsten der Renaissance beginnt. Das gelehrte Recht beginnt die Kaufmannssprache der italienischen Hafenstädte aufzunehmen (assicuranza, polizza, cambio...) sowie die Sprache des regionalen Gewohnheitsrechts; in der vor-Linné’schen Naturgeschichte nimmt man die indigenen Namen und das indigene Wissen über die Pflanzen und Tiere auf, in der Musik beginnt man langsam die Sprache der praktischen Musiker zu rezipieren und so die arithmetische Konzeption von Musik zu ersetzen; in der Politik rezipiert man die Worte und Schlüsselkonzepte der italienischen politischen Kultur bis hin zu Prozessen der Relatinisierung der vernakularen Begriffe (contrapeso/contrepoids/equilibrium/ratio status...). Am Ende der Frühen Neuzeit scheint es zwei unterschiedliche ‚Lösungen‘ dieser Mischungsprozesse zwischen Latein und Vernakularsprachen gegeben zu haben, Hybridisierung oder Positivismus. Eine Hybridisierung der Sprachen und Wissensordnungen kann man beispielsweise im Bereich der Wirtschaft feststelen, wo die neuen Vertragstypen, die in den Hafenstädten und Börsen des Spätmittelalters und der Renaissance erfunden werden, nie komplett in die Strukturen des herkömmlichen gelehrten römischen Rechts integriert werden; statt einer solchen Integration entstehen außerhalb der Kern-Bereiche der Systematisierung gelehrten Rechts spezielle Handelsrechtsbücher bis zum 19. Jh., die aus einer semantischen und sprachlichen Mischung von antikem Recht und dem Recht der Praxis zusammengesetzt ist. Der Weg des ‚Positivismus‘ wird hingegen beispielsweise in der Naturgeschichte beschritten, wo das meist neologtistisch verfahrende Linné’sche System der binominalen Klassifikation ab der zweiten Hälfte des 18. Jhs. die vorherige Pluralität und Misch-Vielfalt der Namen und Vernakularsprachen verdrängt, die in den wissenschaftlichen Traktaten seit dem 16. Jh. akkumuliert worden war, womit der epistemische Rahmen der Renaissance endgültig zerbrochen wurde. Unabhängig davon, welcher der beiden Wege am Ende der Frühen Neuzeit gegangen wird – Hybridisierung oder Positivismus – ist es für die Zeit der Renaissance selbst entscheidend, die modi des Austauschs zwischen Vernakularsprachen und gelehrter Sprache und die Mischungsformen zwischen beiden als Effekt und Motor zugleich eines Prozesses der Empirisierung des Wissens und der Wissenschaften zu untersuchen.

4. Workshop (9-10. Sept. 2011)


 Laboratorium „Zentren des Plurilinguismus (Höfe/Metropole)“

A. DAS ITALIENISCHE AM FRANZÖSISCHEN HOF (Jean Balsamo)
L'italien et les lettres italiennes à la cour de France
Parallel zur Förderung des Französischen am Hof von Frankreich als Sprache der Kunst ebenso wie als Sprache der Politik und der Verwaltung wurde das Italienische als Umgangssprache und zweite Muttersprache des Hofes gesprochen. Ein Jahrhundert lang förderten die Könige italienische Dichter, die zum Dank ihren Ruhm in italienischen Versen feierten, sowie Gelehrte, die in ihrem Dienst einen literarischen Kanon italienischer Schriften ausarbeiteten. In dieser Zeit wurden mehr als hundert Werke auf Italienisch in Paris gedruckt, die in Verbindung mit dem Hof stehen. Zu ihnen kamen zahlreiche italienische Handschriften, die bislang noch kaum erforscht sind. Die Produktion italienischen Schrifttums am Hof von Frankreich ist ein bemerkenswertes Beispiel der Aneignung einer Sprache zu politischen und ideologischen Zwecken (vgl. die französischen Ambitionen in Italien, die Feier des Königshofs als Ort der translatio studii).
Geplant ist eine detaillierte Bibliographie italienischer Werke, die in Paris veröffentlicht wurden, sowie eine Erschließung italienischer Manuskripte für den Hof von Frankreich. Auf dieser Grundlage soll eine literarhistorische Studie der vom französischen König geförderten italienischen Literatur erarbeitet werden.
Die beiden Städte Neapel und Palermo, die 1503 an Spanien übergegangen sind, sind Musterfälle für die Austauschprozesse zweier Volkssprachen, ihrer Abgrenzungen und wechselseitigen Beeinflussungen. Roland Béhar und Jochen Hafner, deren Projekte in Gegenstand und Fragestellung eng verbunden sind, werden die beiden Metropolen in einer vergleichenden Studie untersuchen.

B. MEHRSPRACHIGKEIT AM HEIDELBERGER HOF IN DER MITTE DES 16. JAHRHUNDERTS (Anna Kathrin Bleuler)
Plurilinguisme à la cour de Heidelberg au milieu du XVIe siècle
Der Heidelberger Hof ist insbesondere zur Regierungszeit des Kurfürsten Friedrich II. ein ‚Laboratorium‘ der Volkssprachigkeit. Höfe sind seit je Orte internationaler Kontakte, und im Fall Heidelberg besteht ein zusätzliches Interesse daran, sich der überlegenen französischen Hofkultur zu öffnen. Hier profiliert sich die deutsche Sprache in Auseinandersetzung mit der französischen und italienischen Renaissanceliteratur als Literatursprache, die dem Lateinischen und Französischen zur Seite tritt. Gleichzeitig wirkt wegen der Präsenz vieler Gelehrter im Umkreis des Fürsten die lateinische Literatur auf die Hofliteratur ein. So entsteht ein durchaus eigenständiger Renaissancediskurs in der deutschen Volkssprache, der in der Forschung bislang nicht untersucht worden ist. Das Projekt schließt an das Teilprojekt auctoritas und imitatio veterum des Münchener Sonderforschungsbereichs Pluralisierung und Autorität in der Frühen Neuzeit (15.-17. Jahrhundert) an.


C. Mehrsprachigkeit in den frühneuzeitlichen mittelmeerischen Vizekönigreichen der Spanischen Krone (Roland Béhar/Jochen Hafner)
Plurilinguisme dans les vice-royautés méditerranéennes de la couronne d'Espagne
Im Rahmen des Gesamtprojekts „Eurolab“ nimmt sich das Teilprojekt „Mehrsprachigkeit in den frühneuzeitlichen mittelmeerischen Vizekönigreichen der Spanischen Krone“ vor, die besonderen sprachlichen Verhältnisse zu untersuchen, die in einem politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Ensemble vorherrschten, das sich von Valencia und Katalonien über Sardinien, Sizilien bis nach Unteritalien (Neapel) erstreckte. In diesem Raum, der als Kommunikationsraum verstanden werden soll, treten sprachliche Phänomene auf, die in einzelnen Fallstudien beleuchtet werden sollen. Als zeitlicher Rahmen des Untersuchungsgegenstandes wird die Zeit von etwa 1500 bis zum Übergang zu der Bourbonenherrschaft um 1700 festgesetzt, da in dieser Zeit in sprachlicher Hinsicht das Spanische eine gegebene Größe im administrativen, merkantilen, kulturellen Bereich darstellte. Je nachdem, wie sehr die sprachliche Einbindung dieser Vizekönigreiche in das spanisch regierte Ensemble vorangeschritten war, ergaben sich unterschiedliche Möglichkeiten der sprachlichen Dynamiken, der Konkurrenz oder der pragmatischen Komplementarität. Nur Vergleichbares kann verglichen werden: diese nötige Konstante in der Analyse wird dem Projekt von der politisch-administrativen Struktur geboten, nämlich dem Status dieser Regionen als Vizekönigtümer. Von dieser a priori feststehenden Struktur ausgehend können – dies ist zumindest die Erwartung – die Unterschiede in der Handhabung des sprachlicher Realität gerade in den verschiedenen Ausprägungen und Intensitäten von Mehrsprachigkeit differenziert erkannt werden. Die zahlreichen und unterschiedlichen sprachlichen Erscheinungsformen sollen dann, innerhalb dieses Rahmens, anhand verschiedener Materialien und diskursiver Konstellationen überprüft werden: von juristischen bis zu handelsbedingten Dokumenten pragmatischer Schriftlichkeit, von kirchlichen und höfischen bis zu literarischen Erscheinungen. Ziel dieses Projektes ist also einerseits Einzelarbeiten zu diesem Thema zu integrieren – etwa Hafners Habilitationsschrift zu Mehrsprachigkeit in der Krise – pragmatische Schriftlichkeit und Krisenbewältigung im Königreich Sizilien der Frühen Neuzeit –, andererseits eine internationale Tagung zu diesem Thema zu organisieren (München, Herbst 2011). Diese würde sich zum Ziel setzen, in einem interdisziplinären Ansatz Funktion und Dynamiken der Sprachen in den besagten diskursiven Konstellationen sowie in den beschriebenen Kommunikationsräumen, deren Homogenität durch die historische Struktur des Vizekönigtums garantiert wird, zu untersuchen.

5. Workshop (10-11. Feb. 2012)

Auswahlbibliographie

D. DYNAMIK DER SPANISCHEN SPRACHE IN EINER METROPOLE DES PLURILINGUISMUS: ANTWERPEN (Mercedes Blanco)
Dynamique de la langue espagnole dans une métropole plurilingue : le cas d’Anvers au XVIe siècle
Vor ein Bisschen mehr als einem Jahr, im Rahmen des Antrages, der bei der ANR und der DFG eingereicht wurde ("Dynamik der Volkssprachigkeit im Europa der Renaissance. Akteure und Orte"), schlug ich vor, die mehrsprachigen Metropolen als "wirtschaftliche oder politische Hauptstädte in denen das Spanische in Berührung mit anderen Sprachen gelangt" zu studieren. Ich wollte mich dabei auf das 16. Jhdt. beschränken. Dieses Vorhaben scheint sich nun mindestens in zwei zu teilen. Einerseits ergibt sich das unabhängige Projekt, von Roland Béhar und Jochen Hafner geleitet, die "Mehrsprachigkeit in den frühneuzeitlichen mittelmeerischen Vizekönigreichen der Spanischen Krone" betreffend. Meinerseits möchte ich mich eher auf die großen Handelsstädten begrenzen, die dem atlantischen Handel zugewandt sind: vor allem Antwerpen, Sevilla, Lissabon und Amsterdam.
Der kulturelle Reichtum dieser Handelsmetropolen – weder Höfe, ausgenommen Lissabon, noch Universitätsstädte – entspringt der typographischen Industrie, aber auch der Produzierung von Feiern, Spektakeln und Bildern, sowie der ständigen Erneuerung der Praxis des städtischen Lebens. Das Hervorbringen von Texten in spanischer Sprache entspricht der Zweckmäßigkeit oder der Notwendigkeit, das Spanische in der Nähe weiterer Sprachen zu behaupten: in Lissabon, des Portugiesischen; in Sevilla, des Italienischen; in Antwerpen und Amsterdam, der gleichen Sprachen, und mehr noch des Französischen und des Holländischen. Letztendlich, in allen Städten, mit unterschiedlichen Funktionen und Stufen, des Lateinischen.
Das Vorhaben, diese Metropolen allesamt zu untersuchen, birgt jedoch eine meines Erachtens zu große Gefahr der Zerstreuung, die meine Krafte auf jeden Fall überfordern, und auch die der gesamten Gruppe, die sich mit Spanien beschäftigt.
Ich schlage daher vor, als Observationspunkt Antwerpen zu wählen, um von dort aus die anderen Fälle zu betrachten, sie auf den Umlauf und den Umtausch hin befragend – insbesondere Sevilla. Die Präsenz in Antwerpen sowohl Spaniens als auch der spanischen Sprache ist ein historisches Phänomen, das keine kulturhistorische Annährung dieser Periode übergehen kann. Seit langem verfügt man über große publizierte Sammlungen von Dokumenten zu dem Thema: so der Briefwechsel des Christophe Plantin oder die Bibliographie der spanischen Drucken in den Niederlanden. Eine nicht geringe Anzahl an Studien berührt unterschiedlich das Thema.
Der Ansatz des uns gemeinsamen Projektes – welches auf den Begriffen "Dynamik", "Akteur" und "Ort" beruht – soll uns jedoch vor allem ermöglichen, bereits verfügbare Materiale anders und neu zu bewerten und von da aus, wenn nötig, neue Daten zu ermitteln. Dazu wird es wichtig sein, sich auf bis jetzt wenig bedachte Hypothesen und Problemstellungen zu konzentrieren. Ich möchte hier, von Fall Antwerpen ausgehend, drei erörtern.
1. Die Bücherproduktion in spanischer Sprache in Antwerpen um 1540-1560 bei spezialisierten Druckern, wie Nutius und Steelsius, und ihre Rolle in der Dynamik der Sprache.
2. Die Akteure und die Werkzeuge der wechselseitigen Beziehung des Spanischen zu den weiteren Sprachen in dem Antwerpener Milieu.
3. Christophe Plantins (1555-1589) Drucke, in Lateinischer und dann auch in anderen Sprachen, und das Netz seiner Freunde, seiner Autoren, seiner Mitarbeiter, seiner Angestellten und seiner Kunden, von der Perspektive der Wechselwirkung unter Volkssprachen aus betrachtet.
Dieser Vorschlag ist lediglich ein erster Schritt in der Vorbereitung von zwei oder drei wissenschaftlichen Begegnungen, Ende 2011 und 2012, die in die Veröffentlichung eines Sammelbandes im Jahre 2013 münden würden.

5. Workshop (10-11. Feb. 2012)

E. RHEIN-RHÔNE: SPRACHENAUSBAU AM UFER EINER EUROPÄISCHEN ACHSE (Elsa Kammerer)
Rhin-Rhône : glossogéographie d’un grand axe européen
Ausbau einer Glossogeographie. Hypothese: Verbindung zwischen Wahrnehmung des an bestimmten Orten verdichteten Plurilinguismus und Raumwahrnehmung, die nicht auf geschlossene, von politischen, religiösen, geographischen Elementen determinierte Räume (etwa Nation oder Region), sondern auf offene Räume schliesst. ln dieser Hinsicht bietet sich die europäische Achse Rhône-Rhein als priviligierter Ort zur Erschliessung einer Glossogeographie an: etliche Eurolab-Teilprojekte betreffen eben Städte, die sich am Ufer beider Flüsse befinden. Der ,Schmelztiegel’ Lyon und die Stadt Basel (beide Grenz-, Handel-, Druckerstädte und Städte des Plurilinguismus) sind besonders instruktive Fälle für die Überlagerung und lnteraktion unterschiedlicher Kulturen und der sie tragenden Sprachen (Französisch, Latein, Italienisch, Deutsch). Nun stehen diese Sprachen jeweils in anderen Verhältnissen zu einander: diese unterschiedliche Gleichgewichte entsprechen eben Verlagerungen der Schwerpunkten im Sprachenpraxis und -ausbau. Im Mittelpunkt der Untersuchung sollen die für Lyon besonders wichtigen – doch kaum bis jetzt betrachteten – Verbindungen nach Deutschland und zur Schweiz stehen, wobei insbesondere die zwischen den kulturellen Zentren aufgespannten intellektuellen Netzwerke beleuchtet werden sollen. Im Vergleich sollen für Basel die Verhältnissen zur italienischen Sprache näher eruiert werden. Hierfür müssen Personen und druckgeschichtliches Material ausgewertet werden. Dabei soll eine Typologie und Analyse der unterschiedlichen individuellen und kollektiven Interaktionen erarbeitet werden, die in eine vergleichende Eruierung des Spannungsfeldes zwischen den vier oben benannten Sprachen münden soll.


 Experimentieren und Hybridisierung der Volkssprachen

HYBRIDE DISKURSE. IMAGINÄRE BIBLIOTHEKEN. LITERATUR AN DEN RÄNDERN DER VOLKSSPRACHEN (1500-1700) (Anne-Pascale Pouey-Mounou/Paul J. Smith)
Langues hybrides. Bibliothèques imaginaires. La littérature aux marges du vernaculaire (1500-1700)
Das 16. und 17. Jahrhundert stellen eine wichtige Periode im Prozess der Standardisierung der Volkssprachen in Europa dar. Wenn ein bestehender Dialekt einmal auf den Status einer Nationalsprache erhoben wurde, durchläuft er einen Prozess der Verteidigung und Illustration und der darauf folgenden sprachlichen Reinigung, er profiliert sich auf Kosten von mindestens drei Kategorien von Konkurrenzsprachen: Den Nachbarsprachen, den ausgeschlossenen Dialekten und dem Lateinischen. Zusätzlich zu dieser synchronen Profilierung sehen wir eine doppelte, diachrone Selbstdefinition: Auf der einen Seite distanziert sich die Standartsprache von den direkt davor liegenden Sprachstufen, auf der anderen Seite erhebt sie Anspruch auf ihre angebliche Abstammung: das klassische Latein, Griechisch oder Hebräisch. Und, soweit diese Ursprünge unbekannt sind (wie im Fall des (Ur-)Germanischen, Keltischen, Phrygischen, Altbabylonischen oder der adamischen Sprache), bemüht sie sich, diese Abstammung zu (re-)konstruieren, zu jedem Preis und auch entgegen allem Offensichtlichen. Darüber hinaus sind nicht nur die Vulgärsprachen, sondern auch das Latein auf der Suche nach der eigenen Identität - wie man am Kampf der Ciceronianer um Erasmus, Longueil, J.-C. Scaliger und vielen anderen sehen kann.
Zwischen einer Nationalsprache in statu nascendi und ihren Rivalen - andere Sprachen und Dialekte - tauchen Spannungsfelder auf, in denen bedeutende literarische Experimente stattfinden. Diese Experimente sind notwendigerweise hybrider Natur. Trotzdem sie oft kurzlebig sind, können sie einen grundlegenden und langanhaltenden Einfluss ausüben. Einige spektakuläre Beispiele können genannt werden, wie das latinisierte Italienisch der Hypnerotomachia Poliphili (1499), dem makkaronischen Latein des Baldus von Teofilo Folengo (1517), dem Küchenlatein der Epistolae Obscurum Virorum von Ulrich von Hutten (1514-1515) und dem Passaventus des Théodore de Bèze (Beza) (1533), alle Fälle, bei denen die Vulgärsprache, Deutsch und Französisch, durch das Latein hindurch sichtbar sind (s. Ledegang-Keegstra 2004), genauso wie die eklektische Prosa der Geschichtsklitterung von Johann Fischart (1575) (s. Weinberg 1986). Man kann auch an zahlreiche andere Werke denken, die in der Standartsprache verfasst wurden, die aber durch ihre häufige Benutzung von Archaismen (zum Beispiel die Benutzung von Altfranzösisch in Texten des 15. und 16. Jahrhunderts), von Dialektismen und/oder von Mehrsprachigkeit diese Standartsprache bestätigen, oder, im Gegenteil, sie in Frage Stellen oder problematisieren.
In diesem Prozess der sprachlichen Hybridisierung definiert das Werk des Francois Rabelais einen Referenzpunkt. Vor allem sein Pantagruel (1532) und sein Gargantua (1535), die nicht nur ein Echo der Experimente von Colonna, Folengo und von Hutten, sondern auch andere hybride Formen darstellen, die teilweise isoliert im Text erscheinen und teilweise ganze Episoden ausfüllen. Von dieser letzten Kategorie sind die am besten bekannten Beispiele die Episode des Écolier Limousin (Pantagruel, Kap. 6), in der der namengebende Charakter sich selbst als 'en écorchant le latin' bezeichnet, genauso wie die Episode um das Treffen mit Panurge (Pantagruel, Kap. 9), in der Panurge 14 verschiedene Sprachen spricht, einschließlich dreier imaginärer Sprachen (Utopianisch, die Sprache der Antipoden und Lanternois) - Sprachen, die am Ende der Episode dem Standartfranzösisch das Feld überlassen, nämlich dem von Touraine (s. Demerson 1981; Smith 1992 und 2010).
Neben diesen Fällen von literarischen Hybridisierung, die oben besprochen wurde, ist die vorliegende Untersuchung auf einen Spezialfall fokussiert: Die Episode des Katalogs der Bibliothek von Saint-Victor (Pantagruel, Kap. 7). Diese Episode besteht aus einer Liste von 139 imaginären Büchertiteln in Französisch und einem bizarren und komischen Latein (Beispiel: Antipericatametanaparbeugedamphicribationes merdicantium). Einige Titel beziehen sich auf die Kontroverse zwischen Reuchlich/Von Hutten und Pfefferkorn. Diese Episode steht an der Basis eines erfolgreichen internationalen Genres, welches interessanterweise nach Brunet (1862) nur einige beiläufige und lokale Aufmerksamkeit erfahren hat (s. Vriesema 1986) - eine Aufmerksamkeit, die sich fast ausschließlich auf die imaginären Bibliotheken des 18. und 19. Jahrhundert beschränkt. Darüber hinaus hat die Forschungsliteratur, die sich mit imaginären Bibliotheken befasst, dieses Genre nicht definiert und nicht von anderen Genres differentiert. Somit, bezogen auf Charles (1978: 'die imaginäre Bibliothek kann nicht beschrieben werden'), liegt die Spezialausgabe 'Imaginary Libraries' der Zeitschrift L´esprit créateur (1988) falsch, nicht die verschiedenen Zwischenformen zu diskutieren, die zwischen dem Genre der komischen Bibliothek liegen, die ihren Ursprung bei Rabelais finden, und dem der eher ernsten Idealbibliothek, beispielsweise der 'imaginierten Bibliothek', die von Werle studiert wurde (2007) und anderen Bibliotheken, die den Kern des DFG-Projektes 'Das Motiv/Thema der Bibliothek in fiktionaler Literatur' (Universität Giessen) bilden. Beispiele aus dem 16. und 17. Jahrhundert sind, zusätzlich zu den Übersetzern des Rabelais, Urquhart und Motteux (Englisch) und Wieringer (Niederländisch), die Imitationen des flämischen Poeten Eduard de Dene (ca. 1560) (s. Geirnaert 1997), der hybride Durabilis Catalogus Catalogorum Perpetuo von Johann Fischart (1590), wo ernsthafte Titel, die aus der Bibliotheca Universalis (1545) von Conrad Gesner stammen, sich mit rabelais´schen Titeln abwechseln (s. Schilling 1993), La Bibliothèque du Roi Guillemot (1690) von Lenoble und die zahlreichen satirischen Kataloge aus den Niederlanden des 17. Jahrhunderts. Vriesema (1986) hat allein für die niederländische Literatur mehr als zwanzig imaginäre Bibliotheken aufgelistet. Man kann daher annehmen, dass es auf internationalem Gebiet noch viel zu entdecken gibt. Es gibt einige vollständig unbekannte Fälle, so wie eine imaginäre Bibliothek in lateinischer Sprache, die in den 1560er Jahren geschrieben wurde, und die Entdeckung anderer unbekannter Bibliotheken während des Projekts ist nicht undenkbar.

 

 
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